Energieeinsparung im Müllheizkraftwerk Darmstadt
Über den hohen technischen Anspruch des gesamten Aufgabenpakets ließ die Ausschreibung des Kraftwerksbesitzers, der Zweckverband Abfallverwertung Südhessen (ZAS), keinen Zweifel. Sie gewährte für die Abwicklung des gesamten Projekts ein Zeitfenster von nur wenigen Arbeitstagen vor Ort. Ein extrem eng gesteckter Rahmen angesichts der umfangreichen anstehenden Aktivitäten. Allerdings nachvollziehbar, betrachtet man die Bedeutung des Heizkraftwerks für die Region. Langfristige Betriebseinschränkungen kann man sich hier in der Tat nicht leisten.
Das 1976 mit zunächst zwei der heute drei Verbrennungslinien in Betrieb genommene Heizkraftwerk Darmstadt verbrennt jährlich bis zu 214 000 Tonnen Müll zur Energieumwandlung. Diese Menge entspricht dem Haus- und Sperrmüll von fast 900 000 Einwohnern aus 65 Städten und Gemeinden der Umgebung.
Durch die Verbrennung reduzieren sich das Müllvolumen um etwa 90 Prozent und die Müllmasse um gut 70 Prozent. Die Verbrennungskapazität der drei Öfen des Heizraftwerks liegt bei zusammen knapp über 30 Tonnen pro Stunde.
Die bei der Müllverbrennung freigesetzte Wärme verdampft Wasser in einem Rohrsystem und wird so zur Strom- und Fernwärmeerzeugung genutzt. Allein die Stromkapazität reicht aus, um mehr als 45 000 Bürger der Region zu versorgen; annähernd 4000 Haushalte werden mit Fernwärme beliefert.
Betrieben wird das Heizkraftwerk Darmstadt im Auftrag des Besitzers ZAS von der HEAG Südhessische Energie AG (HSE). Die HSE ist einer der führenden deutschen Dienstleister für Energie, Wasser und Entsorgung und befindet sich mehrheitlich in kommunaler Hand. Die Stadt Darmstadt ist über die Stadtholding HEAG mit 92,9 Prozent an der HSE beteiligt, die auch hier ihren Sitz hat.
Mit ZAS und HSE standen also auf Auftraggeberseite des Ausschreibungsverfahrens zwei außerordentlich erfahrene und eingespielte Partner. Neben dem extrem kurzen Zeitplan eine weitere große Herausforderung für die anbietenden Unternehmen.
Deren Aufgabe lautete: Austausch der Gasbrenner in der Rauchgasreinigung aller drei Verbrennungslinien gegen deutlich energieeffizientere Hochdruck- und Mitteldruck-Dampfgasvorwärmer, sogenannte Dagavos.
Über die bis dato im Rauchgasstrom installierten Gasbrenner wurde das Rauchgas vor den Katalysatoren auf die für die Katalyse erforderlichen knapp 300 Grad Celsius erwärmt – ein relativ energie- und damit kostenintensives Verfahren. Hochmoderne Dampfgasvorwärmer als Wärmetauscher sollten zu erheblichen Einsparungen bei gleicher Effektivität der Rauchgasaufheizung sorgen.
Größte Herausforderung des Projekts war der Ausbau der alten Komponenten und das Einbringen der neuen Technik, ohne dabei erhebliche Baumaßnahmen an der Gebäudesubstanz nötig werden zu lassen. Kaum Zeit, kaum Bewegungsspielraum vor Ort, extreme Ingenieurs- und Planungsleistungen im Vorfeld, möglichst geringe Projekt-Gesamtkosten: ein Lastenheft, das manch ein Mitbieter erst gar nicht bis zum Ende gelesen haben dürfte.
Die Ausschreibungsauswahl fokussierte sich schließlich auf die GBT Bücolit GmbH aus dem westfälischen Marl. Die mittelständisch strukturierte GBT-Unternehmensgruppe erwirtschaftet mit 140 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von rund 25 Millionen Euro. GBT ist unter anderem auf das Thema Luftreinhaltung spezialisiert, wobei Rauchgasreinigungsanlagen für Kraftwerke und Müllverbrennungsanlagen die Schwerpunkte bilden. Durch die zahlreichen in der GBT-Unternehmensgruppe eingebundenen Spezialisten war es zudem möglich, die in Darmstadt geforderten übergreifenden Leistungen zu erbringen.
So wurden etliche Komponenten zum Beispiel vom GBT-Gruppenunternehmen HAW Linings GmbH zugeliefert. HAW gilt als der Erfinder der industriellen Gummierung und als besonders erfahrener Experte der komplexen Beschichtungstechnologie. Eine Materie, die gerade bei Projekten wie dem Müllheizkraftwerk Darmstadt von hoher Relevanz ist.
Zunächst wurde ab den vorhandenen Doppelabsperrarmaturen direkt an den Hochdruck-Dampftrommeln oberhalb der drei Verbrennungsöfen jeweils eine Schnittstelle geschaffen. Dort ansetzend, installierte GBT über eine Länge von 280 Metern pro Linie eine Hochdruckdampfleitung durch mehrere Kraftwerkskomplexe bis zum Katalysatorgebäude zur Rauchgasentstickung, dem sogenannten Denox-Gebäude. Hier ging es dann „ans Eingemachte“.
Die im aufsteigenden Rauchgasast installierten alten Gasbrenner wurden zunächst demontiert, jedoch nicht entfernt. Dann folgte das Meisterstück der Montage: der Einbau der kompletten Hochdruck-Dampfgasvorwärmer in den Rauchgasast. Das gelang geradezu trickreich über die vorhandene Katalysatorleerlage und eine Strecke von gut 19 Metern. Die zuvor demontierten Gasbrenner wurden etwa vier Meter oberhalb ihrer alten Position wieder montiert und im Rauchgasast belassen, da sie eventuell für künftige An- oder Abfahrvorgänge noch benötigt werden könnten.
Der von GBT realisierte Einbau der Dagavos über die Katalysator-leerlage brachte gegenüber herkömmlichen Methoden enorme Vorteile. Bei ihnen hätten nicht nur 20 Meter Rauchgasleitung entfernt werden, sondern auch das Dach des Katalysatorgebäudes aufgenommen werden müssen. Auf beides konnte in Darmstadt verzichtet werden, was erheblich Zeit und Kosten sparte.
Hinter den Dagavos wurden von der GBT-Tochter HAW Linings gefertigte Hochdruckkondensat-Vorlagebehälter eingebracht. Sie sind nötig, um die erforderliche geodätische Zulaufhöhe für die im Erdgeschoss aus Betonfundamenten verankerten Hochdruckspaltrohrpumpen zu schaffen. Die Hochdruckspaltrohrpumpen fördern das anfallende Hochdruckkondensat aus den Dagavos über die komplette Leitungslänge von 280 Metern wieder zurück in die Hochdruckdampftrommeln oberhalb der drei Verbrennungsöfen.
Der zweite Teil der Ausschreibung bezog sich auf den Einbau von Mitteldruck-Wärmetauschern (MD-Dagavos) im Müllheizkraftwerk Darmstadt. Dafür schaffte GBT im Turbinenkeller zunächst eine Schnittstelle zur vorhandenen 11-Bar-Mitteldruckdampfschiene der Anlage. Ihr folgte eine ebenfalls von GBT gebaute Verteilerstation, in der der Mitteldruckdampf per Einspritzkühler herunter gekühlt wird, um eine maximale Dampfsättigung zu erreichen. Der gesättigte Mitteldruckdampf wird dann vor Eintritt in die MD-Wärmetauscher auf der Kaminbühne durch sogenannte Turbolatoren verwirbelt, um einen bestmöglichen Wärmeübergang innerhalb der MD-Dagavos zu erzielen. Die neuen Dagavos platzierte GBT an der Position der bisherigen, dank der neuen Technik nicht mehr benötigten Schalldämpferkulissen.
Ebenfalls von HAW Linings gefertigt wurden die An- und Abströmhauben des Rauchgaskanals. Beschichtet wurden diese Stahlkonstruktionen mit dem von GBT entwickelten Systemwerkstoff Bücolit V590G.
Beim System BÜCOLITV590 G handelt es sich um eine Spritzbeschichtung auf der Basis eines Novolac-Vinylesterharzes.
Anwendung findet das System vor allem bei verfahrenstechnischen Apparaten wie Lager- und Prozessbehälter auch für konzentrierte Säuren und Laugen.
Entwickelt wurde BÜCOLIT V590 G für die Verwendung in Rauchgasreinigungsanlagen in Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen, insbesondere für den Einsatz in Kanälen. Hier kann das Spritzsystem seine Vorteile bei großen, geometrisch einfachen Flächen besonders entfalten.
Mit seinen Eigenschaften eignet sich das System vor allem dort, wo es zu einer hohen Temperatur- und aggressiven Chemikalienbelastung kommt. Speziell ausgelegt wurde es für den Korrosionsschutz in Kanälen und Wärmetauschern von Rauchgasentschwefelungsanlagen, in denen starke H2SO4-Konzentrationen unter hohen Temperaturen auftreten. Die Grenze für eine Dauertemperaturbeanspruchung beträgt gegenüber Chemikalien bis zu 80 Grad Celsius (nass) und in der Gasphase bis zu 180 Grad, kurzzeitig bis 220 Grad Celsius.
Mit dem abschließenden Montieren der An- und Abströmhauben machten GBT und HAW Linings denn auch „den Deckel auf den Topf“ des herausfordernden Projekts. Und das sogar einige Tage vor Ablauf des extrem eng gesteckten Zeitplans der Ausschreibung.
Ein Zeitgewinn gegenüber den Planungen, der sich für die Betreibergesellschaft HSE und die Eigentümerin ZAS gleich doppelt bezahlt machte. Durch eingesparte Projektkosten und eine noch früher als erhofft umgesetzte Energieoptimierung im Kraftwerksbetrieb.